ver.di-Online-Handlungshilfe
zur Gefährdungsbeurteilung

Was ist hier was? Gefährdung, Belastung, (Fehl-) Beanspruchung und Ressourcen

Gefährdung * Gefahr * Auswirkungen von Arbeitstätigkeiten * Gefährdungsfaktoren * Prävention * (Arbeits-) Belastung * Beanspruchung * Fehlbeanspruchung * Überlastung * menschengerechte Gestaltung der Arbeit * Ressourcen * Salutogenese * betriebliches Gesundheitsmanagement * betriebliche Gesundheitsförderung * private Pseudo-Ursachen

Gefährdung, Gefahr und Arbeitsschutz-Maßnahmen

Das Arbeitsschutzgesetz kennt den umgangssprachlichen Begriff der Belastung nicht (wohl aber den fachsprachlichen, wie weiter unten dargelegt). Das Gesetz spricht hingegen von der „Gefährdung“ u. a. im Zusammenhang mit der verpflichtenden Gefährdungsbeurteilung:

Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. (ArbSchG § 5, Abs. 1)

 

Was unterscheidet die Gefährdung von einer Gefahr?

„Gefährdung bezeichnet die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne bestimmte Anforderungen an deren Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit“.

(Ratgeber zur Gefährdungsbeurteilung – Handbuch für Arbeitschutzfachleute, Praxishilfen. Hrsg. BAuA. Dortmund, 2016. Hier: Teil 1. Hinweise zur Vorbereitung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung, Abschnitt 2: Erläuterungen zu den Begriffen.)

Gefahr (im Gegensatz zur Gefährdung)

„Eine Gefahr ist ein Zustand oder Ereignis, bei dem ein nicht akzeptables Risiko eines Schadenseintritts besteht. Der Schaden tritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein. Eine Gefahr kann alles sein, was potenziell Schaden oder gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachen kann – Arbeitsstoffe, Arbeitsmittel, Arbeitsmethoden oder  -praktiken.“

"Eine Gefährdung ist ein Zustand oder eine Situation, in der die Möglichkeit des Eintritts eines Gesundheitsschadens besteht. Die Gefährdung entsteht durch ein mögliches räumliches und / oder zeitliches Zusammentreffen einer Gefahrenquelle mit einem Menschen. Dieser Mensch kann hierbei verletzt werden oder erkranken. Mögliche Beispiele sind das Verletzungsrisiko eines Beschäftigten bei der Nutzung einer Bohrmaschine, das Einatmen von Arbeitsstoffen und nicht vorhandene Gestaltungsmöglichkeiten eines Beschäftigten. Gefährdung bezeichnet die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne bestimmte Anforderungen an deren Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit (Quelle: Abschnitt B der Bundestagsdrucksache 13/3540 aus dem Jahr 1996: Begründung zum § 4 des ArbSchG)."

Als Definition im Ratgeber zur Gefährdungsbeurteilung (Nov. 2016) der BAuA nun nur noch: "Gefährdung bezeichnet die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne bestimmte Anforderungen an deren Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit."

Eine Gefährdung ist demnach etwas, das eventuell zu einer Gefahr werden könnte - Schutzmaßnahmen, also präventive Gegenmaßnahmen, sind schon dann zu ergreifen, wenn es nur vielleicht zu einem Schaden oder einer Gesundheitsbeeinträchtigung kommen könnte (also gar nicht zwangsläufig dazu kommt).

Eine Gefährdung wäre beispielsweise, wenn Beschäftigte im Einzelhandel schwere Gegenstände ohne Hilfsmittel in die Regale wuchten - dies kann über die Jahre zu Schädigungen der Wirbelsäule o. ä. führen. Eine Gefährdung ist auch dann vorhanden, wenn eine Arbeit so organisiert ist, dass Beschäftigte gleichzeitig Sachbearbeitung machen und dabei häufig durch Kunden- bzw. Klientenkontakt unterbrochen werden. Sicherlich ist in diesem Fall nicht einfach zu greifen, welche Folgen durch so einen permanenten „Stress“ eintreten könnten - dass dieser, wenn er lang anhaltend ist, zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit führen kann, steht jedoch außer Frage.

Da es bei den Gefährdungen um etwas geht, das mit der Arbeit verbunden ist (ArbSchG, § 5, 1) und von der jeweiligen Tätigkeit abhängt (§ 5, 2) muss auch gar nicht diskutiert werden, ob sich die gesundheitliche Beeinträchtigung als Bandscheibenvorfall oder Gelenkschaden, als Störung des Immunsystems oder Schlafstörungen zeigen wird.

Vielmehr sind die Arbeitstätigkeiten zu analysieren: Was von ihnen ausgeht, was auf die Beschäftigten bzw. ihre Gesundheit einwirkt. Nach einer solchen Analyse gilt: Gefährdungen sind abzustellen, bevor sie zur Gefahr werden! Und da Arbeitstätigkeiten und nicht Beschäftigte analysiert werden, bedeutet dies auch: In einem Betrieb muss niemand krank sein, damit eine verpflichtende Gefährdungsbeurteilung (ArbSchG § 5) durchgeführt wird. Arbeitsschutz ist immer Prävention: Bevor Schäden oder negative Beeinträchtigungen eintreten!

KURZGEFASST: GEFÄHRDUNGEN LÖSEN ARBEITSSCHUTZ-MAßNAHMEN AUS!

Gefährdungen, Gefährdungsfaktoren und Arbeitsschutz-Maßnahmen

Hilfreiche Unterstützung zur Einschätzung von Gefährdungen mit jeweils beispielhaft aufgeführten Arbeitsschutz-Maßnahmen sowie Hinweisen zu rechtlichen Grundlagen, berufsgenossenschaftlichen und Technischen Regeln u. a. m. bieten z. B.:

Zugrunde liegt diesen Handlungshilfen der Katalog der Gefährdungsfaktoren (Gruppen von Gefährdungen nach Ursachen oder Wirkungen):

1. Mechanische Gefährdungen, 2. Elektrische Gefährdungen, 3. Gefahrstoffe, 4. Biologische Arbeitsstoffe, 5. Explosions- und Brandgefährdungen, 6. Thermische Gefährdungen, 7. Gefährdungen durch spezielle physikalische Einwirkungen, 8. Gefährdungen durch Arbeitsumgebungsbedingungen, 9. Physische Belastungen/Arbeitsschwere, 10. Psychische Faktoren, 11. Sonstige Gefährdungen

Siehe für konkrete Merkmale von Arbeitstätigkeiten, die zu den einzelnen Gefährdungsfaktoren gehören beispielsweise: Ratgeber zur Gefährdungsbeurteilung [...] Teil 2 Gefährdungsfaktoren, dort die mehrseitige tabellarische Übersicht/Checkliste "Gefährdungsfaktoren und ihre kennzeichnenden Merkmale" (hrsg. BAuA, Dortmund 2016)

Interessenvertretungen bieten diese auch für Arbeitsschutz-"Laien" verständlichen Handlungshilfen Orientierung und Übersicht über die jeweiligen Rechtsgrundlagen und arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse.

 

Belastungs-Beanspruchungs-Modell

Was von der Arbeitstätigkeit ausgeht, wird im arbeitswissenschaftlichen bzw. arbeitspsychologischen Kontext "Belastung" genannt. Dieser Begriff wird neutral verstanden, ist also weder mit negativen noch positiven Auswirkungen verknüpft. So ist auch ArbSchG, § 5, Abs. 3, Nr. 6: "psychische Belastungen" zunächst neutral zu verstehen: Erst eine Analyse im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zeigt, ob die konkreten Auswirkungen positiv oder negativ sind.

In der Praxis führt die inhaltliche Differenz zwischen Fach- und Alltagssprache häufig zu Irritationen: Ist doch eine Belastung in der Umgangssprache eindeutig eine negative Auswirkung auf den Menschen. "... belastet mich" - darunter verstehen wir keineswegs etwas Neutrales.

Arbeitsbelastung

Nach DIN EN ISO 6385 (Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen) ist Arbeitsbelastung die Gesamtheit der äußeren Bedingungen und Anforderungen im Arbeitssystem, die auf den physiologischen und/oder psychologischen Zustand einer Person einwirken.

Dieses neutral zu Verstehende:
Das, was von der Arbeit ausgeht, mit ihr verbunden ist,
eben die (fachsprachlich:) Belastung, wird

wenn sie bzw. es auf den Menschen trifft,
als Arbeitsbelastung auf die Beschäftigten einwirkt,
"Beanspruchung" genannt.

Auch Beanspruchung ist nicht per se eine negative Beeinträchtigung: Je nach ihrer konkreten Wirkung in einem konkreten Arbeitszusammenhang kann sie sich auch gesundheitsförderlich auswirken! Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Menschen sich durch lernförderliche Arbeitsgestaltung und Arbeitsorganisation weiter entwickeln können.

Wenn die Beanspruchung jedoch krank macht oder krank machen könnte, dann handelt es sich um eine Fehlbeanspruchung. Etwas verwirrend entspricht dies dem, was wir umgangssprachlich als „Belastung“ oder „Überlastung“ kennen. Gelegentlich wird außerdem mit gleicher Bedeutung von "Fehlbelastungen" gesprochen. Für die betriebliche Praxis ist dieser "Begriffswirrwarr" häufig hinderlich - unwichtig ist die Unterscheidung in der Sache jedoch nicht, zweifelsohne macht es einen Unterschied, ob wir analysieren (und verbessern) was von der Arbeitstätigkeit ausgeht oder uns in Diskussionen darüber verlieren, wie etwas auf Menschen, auf unterschiedliche Menschen wirkt.

Aus Sicht des Arbeitsschutzes lässt sich klärend festhalten: Etwas, das zu mehr als seltenen, kurzzeitig situativen Fehlbeanspruchungen führt, soll generell nicht von den Arbeitstätigkeiten ausgehen. Weitere Grenzen setzen die Belastungen selbst, von denen manche auch nicht einmalig vorkommen dürfen, man denke hier beispielsweise an Gefahrstoffe oder ionisierende Strahlung.

 

Arbeitsgestaltung: Gefährdungs-Abbau und Ressourcen-Aufbau

Wie aber lässt sich nun in der Praxis damit umgehen, wenn sich Beanspruchungen mal negativ, mal positiv auswirken können? Wie ist damit umzugehen, dass sich gleiche Belastungen, die von den Arbeitstätigkeiten ausgehen, oftmals auf verschiedene Menschen unterschiedlich auswirken?

Für beides liegt die Antwort in der Arbeitsgestaltung! Um nicht-gefährliche, gesunde und menschengerechte Arbeit zu erreichen, müssen einerseits Gefährdungen abgestellt oder weitestgehend minimiert werden. Andererseits und dies additiv: Müssen die Ressourcen gestärkt werden, die den arbeitenden Menschen zur Verfügung stehen. So entspricht es den Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes § 2, 1; beides ist gleichzeitig gefordert.

Auf das Vorhandensein von Ressourcen bei der Arbeit hat die Arbeitsgestaltung wesentlichen Einfluss. Solche Ressourcen sind beispielsweise:

  • Kollegialität - Die Arbeitsgestaltung sollte hier Zeit und Gelegenheit zum Austausch mit anderen geben, u. a. weil so gemeinsam Bewältigungsstrategien für Arbeitssituationen entwickelt werden können.
  • Pausen - Gemeint sind hier Pausen, die über die gesetzlichen Pflichtvorgaben hinausgehen: Pausen in den Arbeitsabläufen können, insbesondere in Kombination mit Bewegung, dem Verarbeiten des Aufgenommen dienen. Dies spielt besonders eine Rolle bei häufig wechselnden Einzelaufgaben, hoher Taktzahl von Kundenkontakten o. ä. Solche Pausen innerhalb der Arbeitsabläufe verhindern übrigens auch, dass es zur Verspannung von Muskelgruppen aufgrund längerandauernder einseitiger Haltungen kommt.
  • Information - Sie ist u. a. Voraussetzung für eine selbststrukturierte Aufgabenorganisation, die sich wiederum nachweislich stress-minimierend auswirkt.
  • Qualifikation

Für den Mangel der letztgenannten Ressource Qualifikation gibt es bedauerlicherweise ein immer wieder vorkommendes „Klassiker“-Beispiel: Die Einführung einer neuen Software mit nur kurzer oder gar keiner Einführungsschulung. Learning by doing ohne ausreichende Basisschulung führt dann oft zu permanenter Unsicherheit beim Arbeiten, Anhäufung von Fehlern und damit Mehrfacharbeiten sowie zusätzlicher Lernarbeit und Problemlösungssuche on top zu den jeweiligen Arbeitsaufgaben, womit außerdem wachsender Zeitdruck entsteht. Ausreichende Qualifikation wäre hier also eine wesentliche Ressource, die Fehlbeanspruchung (etwa: Überforderung, Stress) durch die Software-Nutzung zu reduzieren.

Zusammen mit weiteren Ressourcen (wie etwa bezahlte Arbeitszeit für learning by doing nach einer Einführungsschulung und gemeinsames Lernen mit KollegInnen) gibt es andererseits sogar die Möglichkeit, dass die Belastung aus der Tätigkeit mit der neuen Software zu einer förderlichen Ressource wird: Mit Erfolgserlebnissen, gestiegener Lernfähigkeit und Zuwachs an Selbstwertgefühl.
 

Menschengerechte Arbeitsgestaltung und betriebliches Gesundheitsmanagement

Das Arbeitsschutzgesetz (§ 5, 3, 3) wiederum nennt „unzureichende Qualifikation“ als Beispiel für eine Quelle für Gefährdungen, die mit der Arbeitstätigkeit verbunden sind. Ein Mangel an Ressourcen kann also auch als Gefährdung angesehen werden. Ein Widerspruch zum Belastungs-Beanspruchungs-Modell ergibt sich daraus nicht:

Solange wir nicht aus den Augen verlieren, dass die primäre Pflichtaufgabe aus dem Arbeitsschutzgesetz lautet, Gefährdungen abzustellen oder möglichst weitgehend zu minimieren (§ 4, 1) können weitergehende Möglichkeiten zur Arbeitsgestaltung wie hier der salutogenetische Ansatz mit Ressourcenaufbau, -erhalt und –ausbau genutzt werden. Diese sollten genutzt werden im Sinne einer menschengerechten Gestaltung der Arbeit.

Salutogenese

(Kurz-Info) Die Salutogenese fragt nach der Entstehung von Gesundheit, die Pathogenese nach der Entstehung von Krankheit. Beide Konzepte ergänzen sich, um Gesundheit zu bewirken: Gesundheit ist ein lebenslanger Prozess, das Ergebnis der Aktivität auf beiden Ebenen. Belastungs-Abbau und Ressourcen-Aufbau ergänzen sich demnach auch im betrieblichen Kontext. Begriff und Konzept der Salutogenese stammen von dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky.

Um die konkrete betriebliche Situation bezüglich Belastungen (Fehlbeanspruchungen) und Ressourcen so zu kennen, dass gezieltes Handeln (auch: Arbeitsschutz-Maßnahmen) möglich ist, empfiehlt sich eine Beschäftigtenbefragung mit dem DGB-Index Gute Arbeit. In der Praxis hat sich vielfach bewährt, dass der Index nach beidem fragt - und dabei die Befragten selbst als Expertinnen und Experten ihrer Arbeitssituation bewerten lässt, wie sie die Einzelergebnisse werten.

 

Die ressourcenförderliche Arbeitsgestaltung darf allerdings nicht verwechselt werden mit freiwilligen, über Arbeitsschutz und Gestaltung der Arbeit hinausgehende gesundheitsförderliche Angebote.

Natürlich beanspruchen Arbeitsbelastungen, die von Tätigkeiten mit häufigem Heben ausgehen, einen Menschen, der regelmäßig Rückentraining betreibt, weniger als jemand, der nicht trainiert. Zweifelsohne ist das Erlernen und Anwenden von Entspannungstechniken eine Unterstützung, um die Folgen von Stress abzumildern.

ABER

Vom Betrieb angebotene oder vergünstigt zu besuchende Rückenschulen oder Fitnesstrainings und Entspannungskurse sind kein Ersatz für die vom Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Maßnahmen gegen Gefährdungen!

Eindeutig sind „Gefahren [...] an ihrer Quelle zu bekämpfen“, individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu allen anderen Maßnahmen (ArbSchG, § 4).

Damit ist nicht gesagt, dass solche Kurse nicht vorteilhaft, gesundheitsförderlich und ressourcenstärkend für die Beschäftigten wären. Als Teil eines betrieblichen Gesundheitsmanagements gehören sie zu den freiwilligen, über den verpflichtenden Arbeitsschutz hinausgehenden Maßnahmen.

Betriebliches Gesundheitsmanagement, Betriebliche Gesundheitsförderung

„Beide Gestaltungsfelder, der verpflichtende Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die den Arbeitsschutz ergänzenden freiwilligen Maßnahmen der Gesundheitsförderung, gehören zu einer zeitgemäßen betrieblichen Gesundheitspolitik.“ (Aus der Gemeinsamem Erklärung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Deutsche Gewerkschaftsbunds (DGB) zur „Zukunft einer zeitgemäßen betrieblichen Gesundheitspolitik“, 21.04.2004)

Auch bei den übergeordneten Zielen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) werden beide Handlungsfelder als sich gegenseitig ergänzend genannt: "Übergeordnetes Ziel der gemeinsamen Strategie ist es, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten durch präventiv ausgerichteten und systematisch wahrgenommenen Arbeitsschutz, ergänzt durch Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, zu erhalten, zu verbessern und zu fördern." (Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie: Grundlagen, Ziele, Verfahren. 13.03.2008. Hier Kapitel 4.1.)

Dieser weiterhin aktuelle Standard des "doppelten" Vorgehens mit Vorrang der Arbeitsgestaltung gilt selbstverständlich auch dann, wenn es um psychische Belastungen geht. Siehe dazu beispielsweise die GDA "Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz" (2018), wo es im Kapitel "Vorgehen im Betrieb" heißt: "Den Unternehmen stehen Handlungs- und Organisationsmöglichkeiten zur Verfügung, um Arbeitsplätze und Arbeitsabläufe im Hinblick auf psychische Faktoren menschengerecht zu gestalten. Entsprechend muss das Handeln des Aufsichtspersonals betriebsspezifische Bedingungen und Voraussetzungen berücksichtigen. Beratung und Überwachung verdeutlichen die Handlungsoptionen des Betriebes, stellen Mängel ab und führen einen rechtskonformen Zustand herbei. Darüber hinaus veranlassen sie Arbeitgeber zur Optimierung der Arbeitsgestaltung (Verhältnisprävention). Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten auch zur Implementierung von Maßnahmen motiviert werden, die Ressourcen der Beschäftigten aufbauen (Verhaltensprävention)."

Siehe als ver.di Handlungshilfe: „In Zukunft gesund – Schritt für Schritt zur betrieblichen Gesundheitsförderung“ ver.di-Bundesverwaltung,
Ressort Sozialpolitik, Berlin 2012.

Wichtig für die Thematik ist auch die Luxemburger Deklaration zur Gesundheitsförderung in der Europäischen Union von 1997, die seitdem von vielen deutschen Unternehmen und Dienststellen unterzeichnet wurde.

Klar abzugrenzen und abzulehnen ist die Pseudo-Ursachensuche für Fehlbeanspruchungen (Überlastungen) im Bereich der privaten Lebensführung. Ob jemand ins Fitness-Studio geht oder lieber auf dem heimischen Sofa sitzt, hat sicherlich Auswirkungen auf seine Gesundheit. Geeignete Arbeitsschutz-Maßnahmen lassen sich daraus jedoch nicht ableiten, geht es bei diesen doch um eine Analyse der Arbeitstätigkeiten und eine schädigungsfreie, ressourcenstärkende und menschengerechte Gestaltung der Arbeit.

Das Gleiche gilt für „psychische Überlastungssituationen“: Selbstverständlich wirkt sich z. B. eine Scheidung als (umgangssprachlich) Belastung aus – aber daraus abzuleiten, dass Beschäftigte deshalb von ihren Arbeitsaufgaben überfordert wären, umgeht den Kern des Arbeitsschutzes: die Analyse der Arbeitstätigkeiten. Ziel des Arbeitsschutzes ist die Gestaltung von Arbeit und nicht die Gestaltung des Privatlebens der Beschäftigten!

Autorin: Anna Wirth